Glaube und Kultur

Der Glaube fordert Verantwortlichkeit vor Gott und für die weltliche und weltlich bleibende Kultur. Das mag zunächst ein Satz sein, der immer gilt oder immer zu gelten scheint. Aber wenn man bedenkt, dass es erst heute eine spezifisch weltliche Kultur gibt, dass das Christentum nicht den Anspruch erhebt, diese Kultur vom Glauben selbst oder gar vom kirchlichen Amt her eindeutig, positiv und direkt entwerfen oder manipulieren zu können oder zu wollen, dann ist Gefahr und Versuchung beim Glaubenden groß, diese profan-weltliche Kultur, die nicht mehr theologisch oder kirchlich entworfen werden kann, aus seiner christlichen Glaubensverantwortung vor Gott zu entlassen und als etwas zu betrachten, was ihn zwar als Menschen zu interessieren vermag, ihn aber als Christen nichts mehr angeht.

Auch das Zweite Vatikanische Konzil (Gaudium et spes, Nr. 43 usw.) sieht die Gefahr als gegeben an, dass die Christen als solche nur nach dem „Himmlischen“ trachten und meinen, das Irdische, weil es weltlich geworden und so Tat des Menschen sei, sei für sie als Christen keine Aufgabe mit heilsentscheidender Verantwortung. Schlicht sagt das Konzil: „Ein Christ, der seine irdischen Pflichten vernachlässigt, versäumt damit seine Pflichten gegenüber dem Nächsten, ja gegen Gott und bringt sein ewiges Heil in Gefahr.“

Das Wort von den irdischen Pflichten aber ist zu lesen auf dem Hintergrund der konziliaren Aussagen über die relative Autonomie der weltlichen Kultur (Nr. 59). Nur so erhält der zitierte Satz seine Schärfe und sein Gewicht: eben das, was als Kultur von Glaube und Kirche materiell konkret nicht vorgegeben werden kann, ist dennoch irdische Pflicht, bei der es um das ewige Heil geht. Der Christ ist in einsamer Mündigkeit auf seine profan bleibende Kulturarbeit verwiesen, und diese als Entäußerung seines christlichen Daseins ist – obzwar nicht allein – seine christliche Sendung und Verantwortung.

Karl Rahner, in: Karl Rahner Lesebuch, herausgegeben von Karl Lehmann und Adalbert Raffelt. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2004 (1982)


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